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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 10.04.2021


Silence Radio - Carmen Aristegui, Mexikos Stimme der Wahrheit. Kinostart bzw. digital verfügbar ab 15. April 2021
Helga Egetenmeier

Carmen Aristegui ist eine der einflussreichsten Journalist*innen Lateinamerikas und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Wegen ihrer kritischen Berichterstattung wird sie in Mexiko, einem der weltweit gefährlichsten Länder für Medienschaffende, von der Bevölkerung hoch geschätzt. Die Dokumentarfilmerin Juliana Fanjul hat sie...




... mehrere Jahre begleitet und mit ihrem Porträt einen wichtigen Film über die Bedeutung des freien Journalismus geschaffen.

Juliana Fanjul beginnt ihren Dokumentarfilm mit Bildern der Trauerkundgebung für den ermordeten Journalisten Javier Valdez. Mit einer Rede würdigt Carmen Aristegui ihren Kollegen und verweist auf die über 100 weiteren Journalistenkolleg*innen, "die alle völlig straflos ermordet wurden." Eine Frau ruft ihr liebevoll zu "Pass auf dich auf! Wir brauchen dich noch!". Denn Mexiko ist für Journalist*innen eines der gefährlichsten Länder laut einer Erhebung aus dem Jahr 2020 von Reporter ohne Grenzen.

Kritischer Journalismus - eine zentrale Säule der Menschenrechte

Die Dokumentarfilmerin Juliana Fanjul, in Mexiko geboren und 2011 für ihr Studium in die Schweiz ausgewandert, kennt Carmen Aristegui seit ihrer Jugend aus dem Radio. Als sie sie von der Entlassung der Journalistin durch den Radiosender erfährt, beschließt sie, ihren Zorn darüber in einen Film umzusetzen. Sie habe eine wichtige Rolle bei ihrer Sozialisation gespielt und sei ihr als unabhängige Frau ebenso ein Vorbild, wie als eine Journalistin, die auf soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam mache, erläutert sie in ihrem Regiestatement.

Carmen Aristegui – die beliebte Journalistin wird gefeuert

Als Carmen Aristegui im März 2015 gemeinsam mit ihrem Team von MVS Radio entlassen wurde, hatten sie zuvor einen Immobilienskandal von Staatspräsident Pena Nieto aufgedeckt der landesweit Aufsehen erregte. Da wichtige Regionalwahlen bevorstanden, nutzte der Politiker und seine konservative Partei PRI ihren Einfluss auf die Medien, um ihre größte Kritikerin mundtot machen. Trotz zahlreicher Demonstrationen und einer Petition mit zweihunderttausend Unterschriften, und trotz hoher Einschaltquoten der Sendung war der politische Druck mächtig genug, ihr die Rückkehr zu verweigern. Die korrupte Verflechtung zwischen Politik und Medien führt auch dazu, dass kein anderer Sender im Land die Journalistin einstellen wollte.

Neuanfang - ihre eigene Nachrichten-Webseite

Dokumentarfilmerin Juliana Fanjul zeigt eine kraftvolle Carmen Aristegui, die sich auf ihr Team verlassen kann. Mit ihnen wagt sie nach ihrer Entlassung einen Neuanfang und baut im Internet eine Nachrichtenplattform auf. Der Film zeigt Aristegui bei der Entwicklung ihres Web-Konzepts, beim Gespräch mit ihren Kolleg*innen und bei ihrem Gang durch das Büro, damals noch eine Baustelle. Gelegentlich berichtet sie direkt in die Kamera über ihre Pläne, zusätzlich informiert eine ruhige, weibliche Erzählstimme über die Bedeutung der gezeigten Bilder und verbindet damit die zahlreichen Details, die die Regisseurin in den vier Jahren gesammelt hat, in denen sie die Journalistin mit der Kamera begleitete.

Investigative Reportagen über Korruption

Um den Zuschauer*innen einen Einblick in die aufwendige Arbeit des investigativen Journalismus der Carmen Aristegui und ihres Teams zu geben, führt Fanjul einige ihrer Reportagen inhaltlich weiter aus. Deutlich wird, dass für die Journalistin die Verflechtung der Politik mit den Drogenkartellen ein zentrales Thema ist.
Diese mafiösen Strukturen sind auch für das "Verschwindenlassen" mehrerer zehntausend Menschen in Mexiko verantwortlich, einem systematisch begangenen Verbrechen, wie eine Studie von "Brot für die Welt" aufzeigt.

Weitere der Themen, die Aristegui aufgreift, sind die Privatisierung von Wasser, die Preissteigerungen bei Benzin und Nahrungsmitteln, Bereiche, die besonders die ärmere Bevölkerungsschicht Mexikos hart treffen. In anderen Reportagen berichtet sie über die Mentalität der Selbstbedienung durch Politiker und verdeutlicht damit das hohe Ausmaß der Ausbeutung der mexikanischen Bevölkerung durch die Machthaber. Der Dokumentarfilm führt dazu das Beispiel einer investigativen Reportage der Journalistin an, durch die sie aufdeckte, das öffentliche Gelder über gefälschte Rechnungen von Universitäten abgezweigt wurden – und dies mit Unterstützung der Dekane.

Die Angst darf nicht siegen Optimismus als moralische Pflicht

Nach der Veröffentlichung ihrer Reportage "Vom Plagiatisten zum Präsidenten", mit der sie dem damaligen amtierenden Präsidenten Nieto nachweisen konnte, dass er 29 Prozent seiner universitären Abschlussarbeit ohne Kenntlichmachung abgeschrieben hatte, steigerten sich die verbalen Angriffe gegen Carmen Aristegui bis hin zu Morddrohungen. In ihrer Reportage hatte sie kritisiert, dass jemand, der während seines Studiums gelogen und betrogen habe, jetzt als Politiker über das Geld aller Bürger*innen von Mexiko bestimmen könne. Es folgte ein Einbruch in ihre Redaktionsräume, die durch Aufnahmen der Überwachungskameras dokumentiert sind. Gegenüber Fanjul kommentierte die Journalistin dies als Einschüchterung durch staatliche Akteure, da die Täter keine Scheu hatten, in die Kamera zu blicken. Obwohl sie wisse, dass sie sich keine inhaltlichen Fehler erlauben dürfe, und sie feststellen musste, dass bei ihr die Spionagesoftware Pegasus installiert wurde, sei "Optimismus ihre moralische Pflicht, (…) und die Alternative, aufzugeben, komme für sie nicht in Frage.", erklärt Aristegui der Regisseurin.

AVIVA-Tipp: Carmen Aristegui prägt seit vielen Jahren mit mutiger Entschlossenheit den medialen Kampf gegen Korruption, Ausbeutung, und Mord in Mexiko. Juliana Fanjul zeigt mit "Silence Radio. Carmen Aristegui, Mexikos Stimme der Wahrheit" ein informatives wie einfühlsames Porträt der engagierten Journalistin und ist damit nicht nur ein wichtiges Dokument über ihre Arbeit, sondern macht deutlich, dass ein freier Journalismus und kritische Berichterstattung zusammen gehören.

Premierengespräch mit Live Stream:

Die Filmpremiere vom 15. April 2021 im Kino des Deutschen Filminstitut & Filmmuseum mit einem Gespräch mit der Regisseurin Juliana Fanjul und der Journalistin Carmen Aristegui, Moderation: Laura Teixeira, Kuratorin des Lateinamerikanischen Filmfest Días de Cine und Dr. Marta Munoz-Aunión von der Goethe Universität Frankfurt in Zusammenarbeit mit "Cinemalovers", dem Deutschen Filmmuseum und "jip film & verleih" ist online unter: youtube.com.

Auszeichnungen:
2021: Menschenrechtspreis, verliehen von WACC, World Association for Christian Communication
2020: Prix Gilda Vieira de Mello en hommage à son fils Sergio Vieira de Mello, Genf, Festival International du film sur les droits humains
2020: Spezielle Erwähnung, Human Rights Film Festival Berlin
2020: junges dokfest: A38 - Produktions-Stipendium Kassel-Halle, Kasseler Dokfest

Zur Regisseurin: Juliana Fanjul, geboren 1981 in Mexiko, besuchte die Internationale Film- und Fernsehschule von San Antonio de los Banos, Abteilung Dokumentarfilm und arbeitete als Regieassistentin. Im Rahmen eines Austauschprogramms ging sie 2011 in die Schweiz und absolvierte dort von 2012-2014 einen Master in Cinema Studies über das gemeinsame Programm der École Cantonale d´Art de Lausanne und der Haute École d´Art et Design in Genf.

Zur Journalistin: Carmen Aristegui, 1964 als María del Carmen Aristegui Flores in Mexiko-Stadt geboren, studierte an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko und arbeitet seit 1987 als Journalistin. Sie war für verschiedene Radio- und Fernsehsendungen tätig, führt seit 2006 Interviews auf CNN en Espanol und schreibt seit 2013 eine Kolumne für die Tageszeitung Reforma. Im Februar 2011 machte sie eine mögliche Alkoholabhängigkeit von Präsident Calderón öffentlich, wurde vom Sender MVS gefeuert und nach öffentlichen Protesten wieder eingestellt. Im November 2014 erregte sie mit der investigativen Recherche "Casa Blanca" über die mexikanische Regierung internationale Aufmerksamkeit, weshalb sie im März 2015 von MVS erneut gekündigt wurde. Für ihren Kampf um die Pressefreiheit wurde sie mit dem Orden der franz. Ehrenlegion - Chevalier ausgezeichnet, sie ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und wurde 2017 als eine der "50 wichtigsten Menschen weltweit" vom US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Fortune gewählt.

Silence Radio
Carmen Aristegui, Mexikos Stimme der Wahrheit

Originaltitel: Radio Silence
Schweiz, Mexiko 2019
Spanisch mit deutschen Untertiteln, FSK ab 16 Jahren
Regie/Buch: Juliana Fanjul
Kamera: Jérôme Colin
Ton: Carlos Ibanez-Diaz
Schnitt: Yael Bitton
Mit: Carmen Aristegui
Verleih: jip film & verleih
Lauflänge: 78 Minuten
Kinostart/digital verfügbar: 15. April 2021
Der Trailer ist online unter: www.youtube.com
Mehr Infos: www.jip-film.de
Der Verleih jip-film bietet die Möglichkeit, Silence Radio auf Fachveranstaltungen, Symposien oder im Freund*innenkreis zu zeigen. Auch Menschen mit Interesse an einer Schulkinoveranstaltung können sich an den Verleih wenden. Das Besondere hieran: Die Kinos werden am Einspielergebnis beteiligt!

Der Dokumentarfilm ist zu sehen im Berliner Online-Zusammenschluss der Indie-Kinos, dem www.indiekino-club.cinemalovers.de, wie auch auf www.kino-on-demand.com.

Weitere Informationen unter:

www.aristeguinoticias.com
Internetauftritt von Carmen Aristegui und ihrem Team, den sie im Jahr 2012 startete, um Nachrichten und investigative Recherchen zu veröffentlichen, nachdem sie von ihrem Nachrichtensender gefeuert wurde. Obwohl die Kündigung nach einem Gerichtsurteil zurückgenommen werden musste, bleibt dieser Internet-Auftritt weiterhin tagesaktuell, in Spanisch, bestehen.

www.amnesty.de
Amnesty International berichtet im Januar 2016 über Tausende von Menschen, die in Mexiko "verschwunden" sind.

www.brot-fuer-die-welt.de
Studie von Brot für die Welt "Verschwindenlassen in Mexiko. Ein systematisch begangenes Verbrechen" aus dem Jahr 2018 zum Download.

www.npla.de
Auf der Internetseite des Nachrichtenpools Lateinamerika informiert ein Artikel vom 1. April 2021 über die Angriffe des aktuellen mexikanischen Präsidenten López Obrador, der im Dezember 2018 sein Amt übernommen hat, auf kritischen Journalismus.

www.reporter-ohne-grenzen.de
Reporter ohne Grenzen berichtet zu Mexiko, wie auch zu vielen weiteren Ländern der Welt. Die Organisation setzt sich für Pressefreiheit ein und veröffentlicht regelmäßig Berichte über deren Zustand weltweit. Auf ihrer Rangliste der Pressefreiheit ist Mexiko auf Platz 143 von 180.

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Kunst + Kultur

Beitrag vom 10.04.2021

Helga Egetenmeier